Aktuell überschätzt: Das Original! In L. A. verkauft die Künstlerin Ana Prvački für viel Geld die Schattenwürfe berühmter Kunstwerke – thanks to Marcel Duchamp
Dass auf unserer Gegenwart der lange Schatten der Vergangenheit ruht, ist eine häufig bemühte Metapher, die man eigentlich nicht mehr hören mag. Nur in der Kunst, wo gern alte Ideen recycelt werden, lässt sich so eine abgegriffene Erkenntnis noch in Gold verwandeln. Ana Prvački jedenfalls hat das mit dem Schatten wörtlich genommen und stellt in der 1301pe-Galerie in Los Angeles die Schattenwürfe berühmter Skulpturen aus: Michelangelos David, den Schreitenden von Alberto Giacometti, Constantin Brâncusis Endlose Säule und natürlich auch Marcel Duchamps FahrradRad. Nicht die Skulpturen selbst, wohlgemerkt, sondern nur die Silhouetten, die sie auf dem Boden oder an der Wand hinterlassen. Die 1976 im ehemaligen Jugoslawien geborene Künstlerin nennt ihre neue Werkserie Stealing Shadows und bedient sich dabei natürlich ganz bewusst einem der größten Erfolgsmodelle der Moderne: dem Prinzip des Readymade (siehe auch Seite 34) und dessen Wiedergänger Appropriation Art. Größe und Material der Schattenwürfe sind variabel – auf Wunsch können sie auf den Boden aufgemalt oder als ausgeschnittener Filzbelag erworben werden. Der Preis der »gestohlenen Schatten« ist hingegen nicht verhandelbar. Er bemisst sich am Wert des Originalwerks und soll exakt ein Prozent des Preises sein, den die jeweilige Skulptur auf einer Auktion erzielt hat, so hat es die Künstlerin verfügt. Der Schatten von Louise Bourgeois’ Bronzespinne beispielsweise ist mit 281 650 USDollar ausgezeichnet, weil eben dieses Werk letztes Jahr bei christie’s für das Hundertfache versteigert wurde. Stolzer Preis für den Umriss eines Kunstwerks, den man mit Taschenlampe und Photoshop auch selber herstellen könnte. Aber wer so denkt, hat eben Marcel Duchamp nicht verstanden. Nicht das Werk zählt, sondern die Idee, lautet das Mantra der Moderne. So gesehen liegt Prvačkis konzeptuelle Schattenkunst ganz weit vorn. Denn wer will sich in unsicheren Zeiten noch mit zentnerschweren Skulpturen belasten? Oder wie die Künstlerin sagt: »Auch wenn es eine sehr einfache Idee ist, ist sie doch sehr wertvoll. Dünnere Dinge zu machen sollte sogar mehr Wert haben als große Dinge.«
- Ute Thon